Stammzellen verlassen Blutgefäße in strömungsarmen Zonen des Knochenmarks
Hämatopoetische Stammzellen können sich in einem netzartigen Blutgefäß anheften und auswandern
Bei der Behandlung von Leukämie und Krebserkrankungen werden zunächst Blutstammzellen des erkrankten Knochenmarks abgetötet, bevor diese durch die Transplantation gesunder Stammzellen ersetzt werden. Die neuen Stammzellen werden über einen Venenkatheter in den Blutkreislauf des Empfängers übertragen und finden über die Blutbahn selbst den Weg ins Knochenmark. Es ist jedoch nicht genau bekannt, wo und wie diese hämatopoetischen Stammzellen geeignete Stellen in den Knochenmarksgefäßen finden, um aus der Blutbahn auszuwandern. Forscher vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster haben nun mit einem hochmodernen Lasermikroskop erstmals live die Dynamik des Blutflusses in intakten Knochenmarksgefäßen beobachtet und vermessen. Damit lassen sich die Strömungsbedingungen identifizieren, unter denen Blutstammzellen die Gefäße verlassen und sich ihre Nische im Knochenmark suchen können (Cell Reports, online vorab, 14. Februar 2017).
Knochenmark enthält viele Blutgefäße, es ist folglich gut durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. Wissenschaftler vermuten jedoch, dass sich hämatopoetische Stammzellen – also die Blutstammzellen – nur auf Dauer ansiedeln können, wenn der Sauerstoffdruck in der Nische im Knochenmark gering ist. Um das Netzwerk der Blutgefäße im Knochenmark und den Blutfluss in Detail und naturgetreu zu untersuchen, haben die Max-Planck-Wissenschaftler eine Mikroskopiemethode entwickelt, mit der sie den Blutfluss in intakten Blutgefäßen live beobachten können. „Mit unserem Multiphotonen-Mikroskop können wir nicht nur tiefe Bereiche im intakten lebenden Gewebe schonend beobachten, wir können auch die Faserstruktur des Knochenkollagens ohne Färbung sichtbar machen. Aber erst nach einer technischen Aufrüstung unseres Lasermikroskops ist es uns gelungen, schnelle Serienbilder vom Blutfluss aufzunehmen und zu beobachten, wie die Blutkörperchen durch die Gefäße flitzen. Dadurch entstand quasi eine live-Animation des Blutflusses in den unterschiedlichen Gefäßtypen“, erklärt Gabriele Bixel, Erstautorin der Studie.
Da der Oberschenkelknochen relativ dick ist, konzentrierten sich Bixel und ihre Kollegen stattdessen auf den Schädelknochen. „Die Schädeldecke von Mäusen ist dünn, und die Blutgefäße darin sind verhältnismäßig leicht zugänglich“, sagt Bixel. „Das sind optimale Voraussetzungen, um durch den Knochen hindurch die darunter verborgenen Blutgefäße in ihren Knochenmarkshöhlen zu untersuchen. Zudem lässt sich das dynamische Flussverhalten des Blutes durch die verschiedenen Typen der Knochenmarksgefäße mit einem Kontrastfarbstoff sehr gut sichtbar machen.“
Zunächst konnten die Wissenschaftler mithilfe von fluoreszierenden Antikörpern zeigen, dass Blutgefäße im Knochenmark der Schädeldecke ähnlich aussehen wie im Oberschenkelknochen. „Wir haben zu unserer Überraschung beobachtet, dass ein bestimmter Typ Blutgefäß im Knochenmark ein Geflecht bildet, in dem der Blutfluss heterogen und in einigen Gefäßen tatsächlich sehr gering ist.“ Und wo wenig fließt, entstehen auch wenig strömungsbedingte Scherkräfte: „Durch die geringe Strömungsgeschwindigkeit können sich heranrollende hämatopoetische Stammzellen überhaupt erst an die Gefäßwand anheften, um nachfolgend in das Knochenmark auszuwandern“, so Bixel. Die live-Aufnahmen dokumentieren, wie sich die hämatopoetischen Stammzellen innerhalb von Stunden nach der Transplantation an die Gefäßinnenwand im Knochenmark anheften und anfangen, in das umliegende Gewebe – ihre Nische – zu migrieren. Nach circa 24 Stunden sind die meisten Stammzellen durch die Gefäßwand geschlüpft und befinden sich überwiegend stationär im Knochenmark.
Weitgehend unklar ist allerdings noch, ob allein die Stammzelle die Auswanderungsstelle bestimmt oder ob die Zellen der Gefäßinnenwand auch eine aktive Rolle dabei spielen. Auch was die Stammzellen nach der Einwanderung in ihre Nische genau machen, wissen die Forscher noch nicht. Klar ist allerdings, dass die neue Mikroskopiemethode die Beantwortung dieser Fragen voranbringen wird.