Chromatinarchitektur während der frühen Embryonalentwicklung

Forschungsbericht (importiert) 2017 - Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin

Autoren
Vaquerizas, Juan M.
Abteilungen
Abteilung Regulatory Genomics
Zusammenfassung

Die korrekte dreidimensionale Organisation des Chromatins im Zellkern ist eine fundamentale Grundbedingung für das ordnungsgemäße Funktionieren des Genoms. Mutationen in Elementen, die diese Architektur bestimmen, führen zu Entwicklungsstörungen und Krebs. Bei der Bestimmung der Chromatinstruktur in präzise selektierten Entwicklungsstadien von Drosophila-Embryonen entdeckten die Max-Planck-Forscher eine dramatische Reorganisation, die zeitlich mit der zygotischen Genomaktivierung zusammenfällt.

Einleitung

Die Chromatinorganisation im Interphasennukleus hat sich als grundlegendes Merkmal der Gen- und Genomregulation herausgestellt. Das etwa zwei Meter lange DNA-Molekül, das in unseren Zellen vorhanden ist, muss im Zellkern auf einem Raum von wenigen Mikrometern eingekapselt sein. Wichtig ist, dass diese extrem anspruchsvolle Aufgabe gelingen muss, während gleichzeitig auch alle Mechanismen auf Hochtouren laufen, die es der Zelle ermöglichen, Gene zu transkribieren sowie die DNA korrekt zu replizieren und zu reparieren. Studien haben ergeben, dass das Chromatin auf der lokalen Ebene in Form von Domänen – oder Globuli – organisiert ist. Diese funktionieren, indem sie die Aktivierungskapazität von Enhancern (Transkriptionsverstärkern) begrenzen und ihre Wirkung auf jene Gene beschränken, die sie steuern sollen. Die Bedeutung der Regulation von eukaryotischen Genomen auf dieser Ebene zeigt sich daran, dass Mutationen in den genetischen Elementen die die Bildung dieser Domänen begrenzen, zu Entwicklungsstörungen und Krankheiten wie Krebs führen können. Trotz ihrer Bedeutung sind die molekularen Mechanismen und die Dynamik der Chromatin-Organisationsregulation bislang jedoch kaum verstanden [1].

Die Chromatin-Architektur in der frühen Embryogenese

Um diesen Fragen nachzugehen, dienten Fruchtfliegenembryonen (Drosophila melanogaster) in frühesten Entwicklungsstadien als Modellsystem. Der Drosophila-Embryo ist hervorragend geeignet, die Entstehung der Chromatin-Architektur zu untersuchen, da er 13 synchrone Zellkernteilungen durchläuft, bevor das Genom aktiviert wird und Transkription stattfindet. Dieser Prozess wird als zygotische Genomaktivierung bezeichnet. Daher erlaubt dieses Modellsystem, die Chromatin-Konformation sowohl vor als auch nach der Transkription im Embryo zu untersuchen. Dies ist wichtig, da frühere Studien der Chromatinorganisation in der Literatur an transkriptionell aktiven Zellen durchgeführt worden waren, was ausschloss, die Wirkung der Transkription bei der Anordnung der Chromatinarchitektur zu untersuchen. Ziel war es, den Zeitpunkt zu finden, in dem Embryonen ihre Chromatinkonformation etablieren, und zu versuchen, die damit verbundenen molekularen Mechanismen zu verstehen [2]. 

Mit einem interdisziplinären Ansatz, der genetische, genomische und zellbiologische Verfahren kombinierte, konnte das Labor Vaquerizas die Chromatinkonformation für diese Embryonen während der zygotischen Genomaktivierung messen und analysieren. Das Ergebnis zeigt, dass das Fliegengenom vor der Transkription größtenteils unstrukturiert ist – mit Ausnahme von etwa 150 Regionen im Genom, die Spuren lokaler Isolierung zeigen. Innerhalb eines Zeitrahmens von etwa 60 Minuten erfährt das Genom während der zygotischen Genomaktivierung eine dramatische Umgestaltung der Chromatinorganisation. Dies führt zu einer korrekten Etablierung von Chromatin-Domänen und der Chromatin-Kompartimentierung sowie zur Etablierung eines Isolationsmusters, das charakteristisch für aktiv transkribierten Zellen ist. Sobald diese Struktur kurz nach der Aktivierung des Genoms vollständig etabliert ist, erfährt die Chromatin-Konformation in späteren Entwicklungsstadien überraschenderweise keine weiteren Veränderungen.

Eine sorgfältige Untersuchung der feineren lokalen Chromatinorganisation ergab Aufschluss über dieses Phänomen. Domänengrenzen – Bereiche des Genoms, die eine starke Isolation zwischen Domänen aufweisen – waren in Bezug auf Haushaltsgene, die über die gesamte Lebensdauer des Tieres exprimiert werden, stark angereichert. Wie erwartet, waren diese Regionen durch RNA-Polymerase II gebunden, was für diesen Proteinkomplex eine mögliche Rolle als Isolator nahelegt. Dass Haushaltsgene zu jedem gegebenen Zeitpunkt verwendet werden, könnte erklären, warum nach der zygotischen Genomaktivierung der größte Teil der Organisation unverändert bleibt.

Wie das Genom seine richtige Form annimmt

Um die Rolle der Transkription bei der Etablierung der Chromatin-Konformation zu untersuchen, verwendeten die Max-Planck-Forscher pharmakologische Inhibitoren der RNA-Polymerase II, was zur Bildung transkriptionell inaktiver Embryos führte. Von der Mutter werden RNA und Proteine im Embryo abgelegt, welche dann die frühen Stadien der Embryonalentwicklung steuern. Deshalb können sich transkriptionsinhibierte Embryonen bis zum Kernzyklus 14 entwickeln, in dem auch die zygotische Genomaktivierung stattfindet (Abb. 1). Chromatin-Organisationskarten von transkriptionsinhibierten Embryonen zeigten einen signifikanten Grad an organisierter Konformation, was darauf hinweist, dass erstens das Auftreten von Chromatin-Domänen und die Isolierung zwischen diesen Domänen unabhängig von dem Transkriptionsprozess an sich sind; und zweitens, weil keine RNA oder Proteine von dem zygotische Genom hergestellt wurden, die komplette molekulare Maschinerie zur Etablierung der Chromatinorganisation bereits von mütterlicher Seite bereitgestellt sein muss. Diese Einsichten werden neue Wege zur Erforschung und Identifizierung dieser Mechanismen eröffnen [3].

Schließlich führte eine Untersuchung von Regionen mit offenem Chromatin in den Domänengrenzen zur Identifizierung einer Anzahl von Sequenzelementen mit potentiellen Funktionen beim Aufbau dieser Konformation. Auffallenderweise war der signifikanteste Treffer zum ersten untersuchten Zeitpunkt der Pionier-Transkriptionsfaktor Zelda, welcher schon zuvor als Hauptregulator der Zygotengenom-Aktivierung charakterisiert worden war. Die Untersuchung von Chromatinkarten in Zelda-depletierten Embryonen zeigte, dass diese Transkription auch bei der Entstehung von Domänengrenzen in den früh isolierten Regionen eine Rolle spielt.

Zusammengefasst stellen diese Ergebnisse die erste Untersuchung der Dynamik dar, mit der die Chromatinorganisation während der Embryonalentwicklung etabliert wird. Neuere Arbeiten haben gezeigt, dass diese Entwicklung bei Mäusen ähnlich abläuft [4], was auf evolutionär konservierte Mechanismen in Metazoen hinweist. Angesichts des sehr begrenzten Wissens über epigenetische Veränderungen und Übergänge während der Präimplantationsentwicklung [5] sind zukünftige Arbeiten zur Untersuchung der 3D-Chromatinarchitektur von grundlegender Bedeutung, um die für diese Organisation verantwortlichen molekularen Mechanismen und deren Auswirkungen auf Krankheiten zu verstehen.

1.
Long, H.K.; Prescott, S.L.; Wysocka, J.
Ever-Changing Landscapes: Transcriptional Enhancers in Development and Evolution
Cell 167, 1170–1187 (2016)
2.

Hug, C.B.; Grimaldi, A.G.; Kruse, K.; Vaquerizas, J.M.

Chromatin Architecture Emerges during Zygotic Genome Activation Independent of Transcription

Cell 169,  216–228 (2017)

3.

Krijger, P.H.L.; de Laat, W.

Can We Just Say: Transcription Second?
Cell 169, 184–185 (2017)
4.

Du, Z.; Zheng, H.; Huang, B.; Ma, R.;, Wu, J.; Zhang, X.,He, J.; Xiang, Y.; Wang, Q.; Li, Y.; Ma, J.; Zhang, X.;Zhang, K.; Wang, Y.; Zhang, M.Q.; Gao, J.; Dixon, J.R.; Wang, X.; Zeng, J.; Xie, W.

Allelic reprogramming of 3D chromatin architecture during early mammalian development
Nature 547 (7662), 232-235 (2017)
5.

Vaquerizas, J.M.; Torres-Padilla, M. E.

Developmental biology: Panoramic views of the early epigenome
Nature 537 (7621), 494–496 (2016)

Danksagung

Für seine großartige Hilfe bei der Übersetzung dieses Berichtes möchte ich mich herzlichst bei Clemens Hug bedanken.

 

 

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